Je ne regrette rien!
- David J. Strebel

- 12. Nov. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Okt. 2022

Es ist schön, wenn man sagen kann: Ich bereue nichts. Aber wenn doch?
Ohne Reue kein Fortschritt
Reue ist evolutionär ein ganz wesentlicher Treiber des Fortschritts. Was man bereut, ist nicht gelungen, hätte man anders oder gar nicht tun sollen. Reue hilft, Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Weil Reue zweifellos eine starke und negative Emotion ist, bleibt sie für immer in der Erinnerung haften und kommt unter ähnlichen Umständen ganz rasch wieder hoch. Kognitive Informationen hingegen verschwinden viel leichter in den Tiefen des Gehirns.
Tatsache ist auch, dass die Menschen Angst vor Reue haben. Sie gehen deshalb Entscheidungen lieber aus dem Weg, die sie bereuen könnten. Die Verhaltensforschung zeigt: gerade wenn es um Anlageentscheidungen geht, ist die Angst vor Reue einer der ganz wichtigen psychologischen Treiber.
Die Hochburg der Angst vor Reue: Finanzanlagen!
Ich möchte dies an einem Beispiel von Eyal Winter, Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem illustrieren. Er erzählt von zwei Lesungen, an zwei verschiedenen Tagen: die eine an Investment Advisors und Portfolio Manager in Zürich, die andere an Onkologen in Israel. Winter fragte sein Publikum jeweils, was sie am meisten beschäftigt in Treffen mit ihrer Kundschaft. Mit überraschender Übereinstimmung bezeichneten beide den Unwillen, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen.
Bei den Finanzberater sagen die Kunden nicht selten auf die Frage, wieviel Risiken sie zu tragen bereit sind: «Sagen Sie es mir – Sie sind der Experte!».
Überraschenderweise reagierten die Onkologen ähnlich, nur in die entgegengesetzte Richtung. Sie sagten, der häufigste Ansatz ist, die Patienten über die Vor- und Nachteile jeder möglichen Behandlung zu informieren. Ist das gemacht, fühlen sich die Patienten genügend sicher für eine eigenständige Entscheidung. Nun, eine Entscheidung über eine Krebsbehandlung ist nicht weniger kompliziert als eine Anlageentscheidung, aber scheinbar einfacher. Und, sagen wir es mal so: Das ist logisch.
In medizinischen Entscheidungen haben wir nämlich oft die folgende Situation: Wenn wir, zum Beispiel, für eine Chemotherapie anstelle eines chirurgischen Eingriffs entschieden haben, werden wir nie wirklich wissen ob die Entscheidung richtig war. Selbst wenn die Chemo sich als nicht wirksam entpuppt – auch der Eingriff hätte schief gehen können. Dieses Wissen lässt wenig Platz für Reue.
In Finanzentscheidungen ist es ganz anders. Wir wissen nämlich in der Retrospektive immer, ob wir richtig oder falsch entschieden haben. Ob wir mit der Entscheidung Geld verdient haben oder es bessere Alternativen gegeben hätte. Aus diesem Grund schwingt bei Anlageentscheidungen stets die Angst vor der Reue mit.
Ideen zum Angstabbau
Das unangenehme Gefühl der Reue ist bei einem Verlust nach einem pointierten Entscheid viel grösser, als wenn der Entscheid quasi im Vorbeigehen gefällt wurde. Deshalb schmerzt ein Verlust bei einer kürzlich gekauften Aktie viel mehr als der gleiche Verlust bei einer Aktie, die man schon lange im Portfolio hält und quasi zum Status Quo gehört. Das Reuegefühl ist auch geringer, wenn der Fehler innerhalb einer Gruppe begangen wurde. Wie heisst es doch? Misery Loves Company oder geteiltes Leid ist halbes Leid. Das ist übrigens ein Hauptgrund für Herdenverhalten, auch an den Finanzmärkten. Um das Gefühl der Reue zu vermeiden, wird ein Fehler mental auch gerne jemandem anderen in die Schuhe geschoben. Das ist das Nützliche an Beratern und Vermögensverwaltern. Alle diese Erkenntnisse müssten in der Beratung und im Servicing eigentlich berücksichtigt werden.
Man sollte aber anerkennen, dass sich Berater nicht immer an die installierten Beratungsprozesse halten. Anstatt sich dem Entscheid von den persönlichen Zielen und der Finanzplanung her anzunähern, steuern sie zu direkt auf das Produkt zu - und befüttern damit die Angst vor Reue. In Kombination mit kurzfristigem Denken (Myopia!) unterstützt das den bekannten Status Quo Bias. Es wäre gescheiter, die Ausgangslage so gestalten, dass «nichts tun»» auch eine explizite Entscheidung ist. Mit anderen Worten: Für gute Entscheidungen sollten Handeln und Nichts-tun auf die gleiche Stufe gestellt werden.
Wie die Beratung der Onkologen wäre es auch hier zielführender, die Anlagestrategien und -produkte von den Zielen und der Finanzplanung herzuleiten und in deren Kontext die Vor- und Nachteile aufzuzeigen. Dann können Menschen besser entscheiden und «nichts tun» bekommt ein Preisschild. Leider liegt der Fokus aber oft zu stark auf dem Risikoprofil alleine. Weil auch Berater mit der Angst vor Reue konfrontiert sind, ist es hilfreich, sie emotional zu entlasten mit Werkzeugen, welche die Entscheidung unterstützen. Weitere Mittel, die Entscheidungen weniger dominant zu machen und so die Angst vor Reue zu brechen, sind gestaffelte Investitionen (und Reinvestitionen) sowie die Bildung von Teilvermögen. Auch im Reporting gibt es Möglichkeiten, Reuegefühle zu mildern, indem der Blick nach vorne gerichtet wird.
Emotionen sind ein kräftiger Treiber des menschlichen Handelns und Nichthandelns. Das sind keine bahnbrechenden Neuigkeiten. Umso mehr sollte ein guter Beratungsprozess die Erkenntnisse der Psychologie bzw der Verhaltensforschung unbedingt berücksichtigen. Hier gibt es ein erhebliches unausgeschöftes Potenzial. Goal Based Investing ordne ich dabei dem Lösungsarsenal zu.
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